Atemtherapie bei Angstkrankheiten

Ein älterer Mann legt besorgt seine Hand auf die Brust. Eine ebenfalls besorgte Frau steht daneben und nimmt ihn in den Arm.

Von Eva Kaul

In der Behandlung von Menschen mit Angstkrankheiten wird mittels Entspannungsübungen und Bauchatmung der Parasympathikus aktiviert. Dass es ebenso wichtig ist, die sympathikotone Atmung zu üben und damit Energie, Freude und Lebenslust zuzulassen, geht oft vergessen.

Der Urinstinkt

Die körperliche Reaktion auf Bedrohung ist evolutionär sehr alt und wird über das vegetative Nervensystem vermittelt. Dieses reguliert die Funktion der inneren Organe und hat zwei Hauptanteile: Sympathikus und Parasympathikus. Der Sympathikus ist zuständig für Aktivierung, Kampf und Flucht, der Parasympathikus für Entspannung und Regeneration. In einer Bedrohungssituation ist also primär der Sympathikus aktiviert. Ist die Situation allerdings überwältigend und der Organismus überfordert, kommt es über die Aktivierung eines parasympathischen Anteils zum sogenannten Erstarrungsreflex.

Angstkrankheiten

Tritt regelmässig der Situation unangemessenes Angstempfinden auf, spricht man von Angstkrankheiten. Zu den primären Angstkrankheiten zählen Phobien, Panikstörungen und die generalisierte Angststörungen. Angstsymptome können aber auch in Verbindung mit anderen psychischen Krankheiten auftreten, zum Beispiel bei Depressionen, Zwangsstörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Während ihres Lebens sind fünfzehn Prozent der Bevölkerung von Angstkrankheiten betroffen, Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer. Der für phobische Angstkrankheiten und Panikstörungen typische Angstanfall kann durch äussere Situationen, Vorstellungen und Körpersymptome hervorgerufen werden.

Diese Auslöser setzen einen Teufelskreis von katastrophisierenden Gedanken, Emotionen und Körpersymptomen in Gang. Auf der Verhaltensebene kommt es bei Menschen mit Angststörungen in der Regel zu einer Vermeidungsreaktion. Weil sich Angsterkrankungen in allen Erlebnismodalitäten manifestieren, bietet es sich an, therapeutisch auf allen Ebenen zu arbeiten. In diesem Artikel geht es aber primär um körperliche Interventionen.

Atem und Angst

Die Atmung ist eine Schnittstelle von unwillkürlichem und willkürlichem Nervensystem. Wir können die Atmung willkürlich steuern, indem wir Atemfrequenz oder Atemzugvolumen verändern. Andererseits funktioniert die Atmung aber auch autonom, ohne unser Zutun. In der Regel wird unser Atemminutenvolumen (Atemfrequenz x Atemzugvolumen) automatisch an die Bedürfnisse unseres Körpers angepasst: Es erhöht sich unter körperlicher Belastung und sinkt in Ruhe. Aber auch Emotionen können unseren Atem beeinflussen, sowohl situativ («Angst, die einem den Atem verschlägt») wie chronisch (eingeschränkte Atmung als Teil eines körperlichen Schutz- und Haltemusters). Zwei bedeutsame psychophysiologische Modelle zur Erklärung von Angstattacken weisen der Atemregulation eine bedeutende Rolle zu: Das Hyperventilationsmodell und das Modell des falschen Erstickungsalarms.

«Ein Angstanfall kann durch äussere Situationen, Vorstellungen und Körpersymptome hervorgerufen werden.»

Hyperventilation und falscher Erstickungsalarm

Die Ähnlichkeit der Symptome bei Hyperventilation mit den Symptomen einer Panikattacke führte zur Hyperventilationstheorie, welche postuliert, dass Panikattacken durch Hyperventilation ausgelöst werden (Kerr et al., 1937). Gegen diese Theorie spricht, dass nur etwa fünfzig Prozent der Patient:innen mit Panikattacken während der Attacken eine Hyperventilation zeigen (Hibbert et al., 1989). Willkürliche Hyperventilation löst nur bei einigen Patient:innen eine Panikattacke aus (Mahler, 2005). Auch kann von der Ähnlichkeit der Symptome nicht einfach auf einen ursächlichen Zusammenhang geschlossen werden. Wahrscheinlicher ist, dass Hyperventilation ein mögliches Symptom einer Panikattacke ist.

Eine weitere Hypothese zur Entstehung der Panikattacke wurde 1993 von Klein et al. publiziert. Dessen «false suffocation alarm model» beruht auf dem gehäuften Auftreten respiratorischer Abnormalitäten bei Angstpatient:innen. Sie zeigen im Vergleich zu gesunden Proband:innen bereits in Ruhe eine erhöhte Variabilität von Atemzugvolumen und Atemminutenvolumen und tiefere Kohlendioxidpartialdruck (paCO₂-Werte). Die Inhalation kohlendioxidangereicherter Luft führt rascher zu Erstickungsgefühlen. Die Hypothese von Klein postuliert daher das Vorliegen hypersensitiver CO₂-Rezeptoren im Hirnstamm bei Patient:innen mit Panikstörung, mit folgender Instabilität der autonomen Atmungsregulation und chronischer Hyperventilation auch im Ruhezustand. Auch für diese Hypothese gilt, dass die erwähnten Befunde nicht bei allen Patient:innen nachgewiesen werden können.

Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass offenbar neben der Psyche auch Störungen der Atmungsregulation bei Angstanfällen eine wichtige Rolle spielen. Atemarbeit in die Behandlung mit einzuschliessen, liegt also auf der Hand. Es stellt sich aber die Frage: Welche Atemübungen sind sinnvoll und wie sollen sie eingesetzt werden?

Parasympathische Übungen

Der Einsatz von Entspannungsübungen und parasympathischer Bauchatmung bei Angstkrankheiten ist gut bekannt und nachvollziehbar: Wer in einer nicht bedrohlichen Situation Angst hat, soll sich entspannen. Es existiert eine Vielzahl von Techniken, deren Wirkung auf das vegetative Nervensystem nachgewiesen ist. Die parasympathische Atemarbeit hat den Vorteil, dass sie einerseits direkt auf ein Symptom der Angstattacke einwirkt und andererseits den Körper allgemein entspannt und erdet. Die parasympathische Bauchatmung muss sorgfältig instruiert werden. Viele Menschen mit Angststörungen neigen zur Hyperventilation und haben auch in Ruhe eine rasche, oberflächliche Atmung. Wenn sie aufgefordert werden, «tief in den Bauch» zu atmen, erhöhen sie ihr Atemzugvolumen. Falls sie nicht gleichzeitig die Atemfrequenz senken, wird ihr Atemminutenvolumen erhöht, sie atmen mehr Kohlendioxid ab und es wird ihnen schon nach wenigen Atemzügen schwindlig. Da ihnen Schwindel als Symptom einer Angstattacke bekannt ist, werden sie nicht motiviert sein, diese Atmung in Angstsituationen einzusetzen. Bei der Instruktion sollte also darauf geachtet werden, dass die Klient:innen langsam und nicht zu tief atmen (Atemfrequenz <10/ min). Für das Üben zu Hause kann die gewünschte Atemfrequenz mit Hilfe einer App (z.B. Breath Pacer) vorgegeben werden.

Geringes Containment

Die Wirksamkeit von parasympathischen Atemübungen ist gut dokumentiert (vgl. Meuret et al., 2008; Barlow et al., 2000). Eine Gefahr des alleinigen Erlernens von Entspannungstechniken und parasympathischer Atmung besteht darin, dass deren Anwendung von Angstpatienten in ihr Kontroll- und Vermeidungsverhalten eingebaut wird. Menschen mit Angsterkrankungen setzen sympathikotone Aktivierung häufig mit Bedrohung gleich. Sie versuchen jegliche Aktivierung des Sympathikus zu vermeiden, indem sie entsprechende Situationen meiden oder die gelernten Körperübungen einsetzen, um die vegetative Aktivierung wieder zu vermindern. So lernen sie nicht, vegetative Erregung zu tolerieren. Wir sprechen hier von einem geringen Containment, einer geringen Fähigkeit, einen hohen Aktivierungszustand auszuhalten. Eine hohe Aktivierung des vegetativen Nervensystems ist aber nicht per se etwas Schlechtes.

Grundsätzlich geht jede Emotion mit einer gewissen sympathikotonen Aktivierung einher. Man könnte etwas plakativ sogar sagen: Emotionen sind sympathikotone Aktivierungen, die je nach Ausmass der Aktivierung und des Kontexts verschieden benannt werden. Vermeidung sympathikotoner Aktivierung führt zur Vermeidung von Lebendigkeit. Eine integrative Therapie arbeitet nicht nur auf Beseitigung der Angstsymptome hin, sondern unterstützt Lebendigkeit auch in hoher Aktivierung.

Lebendigkeit und Lebensenergie

Sowohl parasympathische als auch sympathikotone Atemübungen haben in der Behandlung von Angst ihren Platz. Die parasympathische Atmung ist hilfreich während der Panikattacke. Um nicht in die Falle der Vermeidung von sympathikotoner Aktivierung zu geraten, sollten parasympathische Atmung und Entspannungsübungen nicht mit dem Ziel der Kontrolle der Angstsymptome angewandt werden. Vielmehr geht es darum, selbst im Angesicht der Panik einen Anker zu haben, einen Ort, von dem aus wir die Panik wahrnehmen können, ohne uns überschwemmen zu lassen oder sie loswerden zu müssen. Eine hilfreiche Metapher ist das Bild des Hurricans: Befinden wir uns im Auge des Hurricans, können wir dem Tosen um uns herum gelassen zusehen. Sympathikotone Atmung hilft, das Containment für Lebendigkeit zu erhöhen. Regelmässiges Üben mit Ladungsatmung mindert nicht nur die unangenehmen Körperempfindungen und Gefühle bei hoher Ladung. Die Klient:innen erleben mit der Zeit sogar angenehme Gefühle und Körpersensationen und können eine hohe Ladung als Ausdruck ihrer Lebendigkeit und Lebensenergie schätzen lernen. Denn das freie, elastische Schwingen zwischen Aktivierung und Deaktivierung des vegetativen Nervensystems, zwischen Erregung und Entspannung, entspricht dem gesunden Zustand jedes biologischen Systems.

Literaturverzeichnis

  • Barlow, D. H. Gorman, J.M. Shear, M.K. Woods, S.W.: Cognitive-behavioral therapy, Imipramine, or their combination forpanic disorder – A randomized controlled trial
    The Journal of the American Medical Association, 2000, 17: 2573–2574
  • Hibbert, G., Pilsbury, D.: Hyperventilation – Is it a cause of panic attacks? Br J Psychiatry, 1989, Dec, 155: 805–9
  • Kerr, W., Dalton, J., Gliebe, P.: Some physical phenomena associated with the anxiety states and their relation to hyperventilation, Ann. Intern. Med, 11: 962–992
  • Klein, D.F.: False suffocation alarms, spontaneous panics, and related conditions. An integrative hypothesis Archives of General Psychiatry, 1993, 50: 306–317
  • Mahler, C.: Hyperventilation bei Patienten mit Panikstörung – eine funktionelle dopplersonographische Untersuchung zur Bestimmung der Vasomotorenreaktivität Dissertation, 2005.
  • Meuret, A.E., Ritz, Th., Wilhelm, F.H., Roth, W.T.: Voluntary hyperventilation in the treatment of panic disorder Clinical psych review 25, 2005, 285–306
  • Meuret, A.E., Wilhelm, F.H., Ritz, Th., Roth, W.T.: Feedback of End-tidal pCO2 as a Therapeutic Approach for Panic Disorder JPsychiatr Res, 2008, June, 42(7): 560–568