Atemtherapie bei Verspannungen und Schmerzen

Eine junge Frau am Laptop fasst sich mit beiden Händen in den Nacken.

Von Annegret Ruoff

Oft rühren Verspannungen im Gewebe von einem Trauma her. Dann versucht der Basler Physio- und Atemtherapeut Roland Hoppler, mit dem richtigen Impuls Lösung in die betroffenen Faszien zu bringen. Dabei behält er stets das Ganze im Blick.

Faszien boomen zurzeit. Wann haben Sie, Roland Hoppler, die Faszien für sich entdeckt?

In den 80er-Jahren. Als ich mich zum Physiotherapeuten ausbilden liess, lernte ich die Bindegewebsmassage kennen und schätzen. Ich wende sie bei meiner Arbeit heute noch sehr oft an.

Warum?

Weil sie eine schnelle Lösung des Gewebes bewirkt. Das verbessert die Beweglichkeit und es bringt Prozesse ins Laufen. Löst sich das Bindegewebe, löst sich oft auch anderes.

Sie können dem Faszien-Trend also nichts Neues abgewinnen?

Ein Trend auf unserem Gebiet bedeutet ja immer, dass eine Struktur ins Bewusstsein der Wissenschaft und der therapeutischen Behandlungsmöglichkeit gerät. Mal sind es die Lymphen, mal die Meridiane, mal die Faszien. Man wirft dann einen Scheinwerfer auf etwas, während anderes in den Schatten gerät. Bei meiner Arbeit funktioniere ich anders. Behandle ich einen Klienten, kommt mir zuallererst ein Bild entgegen. Mein Blick aufs Ganze konzentriert sich dann hauptsächlich auf zwei «Gesten».

Was meinen Sie damit?

Es gibt eine zusammenziehende, involutive Geste. Diese findet dann statt, wenn sich etwas verspannt oder verkrampft. Und es gibt eine lösende, evolutive Geste, wenn sich etwas entspannt, es dem Klienten oder der Klientin wohl ist. Ich schaue den Menschen also vorerst unter dem Aspekt dieser Gesten an, und dann werde ich als Therapeut tätig: entweder arbeite ich über den Atem, das Nervensystem, den Muskelapparat oder über die Faszien.

Das heisst, Involution und Evolution äussern sich auch in den Faszien?

Auf jeden Fall. Aus der aktuellen Forschung weiss man, dass in den Faszien Involutionsprozesse stattfinden. Das bedeutet, dass sich in der Struktur der Faszien bei einem traumatischen Erlebnis, einem so genannten «Unfinished business», eine Gewebeveränderung ergibt. Die Faszien ziehen sich dann zusammen und können sich dadurch verfestigen. Die Energie ist nicht mehr im Fluss.

Wie gehen Sie dann vor?

Zuerst lasse ich den Menschen Ressourcen finden und aufbauen, achte auf einen strukturierten Ablauf und einen definierten Rahmen der Behandlung. Und dann gebe ich einen Impuls, zum Beispiel mit der Atmung. Sie ist ja besonders geeignet, um in die Anspannung reinzugehen und etwas ins Fliessen zu bringen. Anstelle der Atmung kann man beispielsweise auch mit den Meridianen arbeiten, oder eben mit den Faszien. Ein solcher Impuls muss aber nicht immer etwas Bewegtes sein.

Sondern?

Ich kann auch einfach meine Hand auf eine verspannte Stelle legen. Oft entspannen sich dann die Muskeln. Durch diese Lösung kommt etwas wieder in Bewegung. Als Therapeut biete ich Hand, ermögliche dem Menschen gewissermassen die Entspannung. Den Rest macht der Klient oder die Klientin selbst.

In welcher Weise sind die Faszien beteiligt an einem solchen Lösungsgeschehen?

Ganz grundsätzlich. Reagiert der Körper eines Klienten mit einer Entspannung, einem Wohlgefühl, dann kommt in die Anspannung des Bindegewebes hinein plötzlich eine ressourcenorientierte, lösende Information, die unter meinen Händen sofort spürbar ist. Setze ich also in einem traumatisierten Gebiet einen entgegengesetzten Impuls, dann kann sich das, was als traumatisch erlebt wurde, integrieren. Und das geschieht dadurch, dass etwas im Körper wieder ins Fliessen kommt.

Ganz konkret: Jemand mit Rückenschmerzen kommt in Ihre Praxis. Wie setzen Sie dann diesen Impuls?

Einerseits körperlich, indem ich die betroffene Region am Rücken oder, falls das nicht möglich ist, eine Region, die zum Beispiel über eine Faszie, mit der betroffenen in Zusammenhang steht, anfasse, sie mithilfe des Atems massiere oder einfach achtsam berühre. Andererseits spreche ich aber in Form von Fragen oder Beobachtungen auch die Emotionen an, die sich jetzt zeigen, denn diese sind sehr nahe am Körpergeschehen. Jede Emotion wird ja sofort sichtbar in der Atmung.

Warum ist es wichtig, mit dem Klienten über seine Emotionen zu sprechen?

Wird etwas in der Therapie nicht nur körperlich erlebt, sondern auch angesprochen und damit zum Thema, kann es der Verstand, die kognitive Ebene besser einordnen und «ablegen». Nur so erreiche ich, dass es den Klienten nicht mehr belastet, dass etwas nachhaltig integriert ist. Mit einer körperlichen Verspannung hängen zum Beispiel oft irgendwelche Glaubenssätze zusammen. Lösen sich dann die Muskeln und Faszien, ist es Zeit, den entsprechenden Glaubenssatz auch gedanklich «ad acta» zu legen. Ich versuche immer, die verschiedenen Ebenen mit einzubeziehen. Arbeiten tue ich aber stets am Körper, weil über diese Ebene die tiefe Integration eines «Unfinished Business» stattfindet.

Faszien spielen also bei der Integration eine wichtige Rolle. Wie spüren Sie das?

Diesen verbindenden Charakter der Faszien bemerke ich an ihrer Reaktion. Halte ich meine Hände auf den Körper und es geschieht eine Lösung, dann spüre ich unter meinen Händen auf einmal eine andere Spannung. In den meisten Fällen fühlt es sich so an, als würde eine Verhärtung buchstäblich dahinschmelzen. Diese schmelzende Eigenschaft ist typisch für die Faszien. Bei wenigen Menschen mache ich eine andere Erfahrung. Lege ich die Hände auf die entsprechende Stelle, fühlt sich das zuerst schlaff an. Löst sich dann etwas, entsteht eine Spannung. In beiden Fällen strebt der Körper nach demselben Zustand: dem Eutonus, der Wohlfühlspannung, bei der man sich präsent und bereit, dem Leben und seinen Herausforderungen gewachsen fühlt.

«Dieses Schmelzen ist typisch für Faszien.»

Faszien reagieren ja sehr fein auf federnde Bewegungen. Setzen Sie solche bei der Behandlung von Traumata ein?

Es kommt vor, dass ich federnde Impulse setze. Was ich aber beobachte ist, dass Faszien, Muskeln und anderes Gewebe die gespeicherte, gehaltene Energie aus dem «Unfinished business» durch Federn oder Zittern entladen. Das kann man übrigens sehr gut bei den Tieren beobachten. Entlädt sich, zum Beispiel bei einem Reh, hoher Stress, weil sich eine gefährliche Situation entspannt, beginnt es zu zittern. So wird es die überschüssige Energie los und kann sich wieder beruhigen.

Und das beobachten Sie auch bei Menschen?

Ich bemerke oft, dass sich in diesem Schmelzvorgang der Faszien ein feines Zitttern einstellt, das in hohem Masse lösend wirkt. Das ist meine Erfahrung. Aber bitte, wissenschaftlich beweisen kann ich Ihnen das nicht.

Wie weit ins Gewebe hinein finden denn traumatische Anspannungen im Körper statt? Sind sie auch in den Faszien, welche die Organe umhüllen, spürbar?

Traumatisch bedingte Verspannungen gehen sehr tief. Da das autonome Nervensystem dieses Einfrieren der Stressenergie bewirkt und es ja gleichzeitig alle Systeme des Menschen, wie den Herzschlag und die Atmung reguliert, gehe ich davon aus, dass solche Verspannungen gar bis zu den Organfaszien reichen.

Findet Lösungsgeschehen von innen nach aussen statt oder umgekehrt?

Es hat ganz klar Ausdehnungscharakter und wirkt also gegen aussen. Beim Atem ist das deutlich wahrnehmbar. In den Involutionsformen, wenn also etwas «gehalten» wird, beobachten wir beim Atem eine sehr flache Amplitude. Sobald sich eine Lösung zeigt, wächst sie an, und die Frequenz beruhigt sich. Dieses Ausdehnen zeigt sich auch darin, dass ein Mensch wieder in Kontakt kommt mit der Umwelt, dass er wieder über sich hinausspüren kann.

Man könnte also sagen, das Leben ist natürlicherweise auf Ausdehnung angelegt.

Auf jeden Fall: Entwicklungsprozesse sind ausdehnend. Das sieht man bei den Faszien sehr schön. Sind sie nicht beweglich, geschmeidig, kontaktfreudig, sind die körperlichen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt. Das kann sich strukturell äussern oder indem ein Gebiet schmerzt. Dann ist es wichtig, die Faszien zu lösen, damit der Mensch wieder in seine körperliche Geschmeidigkeit reinkommt. Das kann sich auf die integrative Weiterentwicklung und Entfaltung auswirken. Dynamische Beweglichkeit ist die Folge von gelösten und gut mit Flüssigkeit versorgten Faszien.

«Dynamische Beweglichkeit ist die Folge von gelösten Faszien.»

Von den Faszien hängt also sehr viel ab. Oder anders gesagt: An den Faszien lässt sich sehr viel ablesen.

Ganz klar, ja. Für entscheidend halte ich aber, dass ich als Therapeut den Blick nicht bloss auf die Faszie richte, sondern aufs Ganze. Vielleicht ist das jetzt eine gewagte Aussage: Konzentriere ich mich in der Therapie nur auf die Faszie, löse sie also strukturell, dann löst sich auch nur die Faszie. Sehe ich die Faszie aber als Ausdruck eines Ganzen an und behalte dieses während der Behandlung im Blick, dann wirkt sich auch die Lösung aufs Ganze aus. Mich beeindruckt immer wieder, wie sich, angestossen durch einen therapeutischen Impuls, die selbstregulierenden Mechanismen des Körpers entfalten. Da brauche ich dann nur noch den sicheren Rahmen zu gewährleisten und die Gewissheit zu vermitteln, dass das, was geschieht, in Ordnung ist.

Wie wichtig ist dieses Vertrauen?

Meiner Meinung nach ist es die Grundressource des therapeutischen Prozesses. Kann man Vertrauen vermitteln, wirkt sich das unmittelbar auf den Klienten und den Heilungsprozess aus. Es ist in hohem Masse eine Daseinsqualität. Man baut im therapeutischen Setting einen geschützten, die Situation umhüllenden Raum auf, der reinlässt, was den Klienten nährt und versorgt und der gegen aussen hin durchlässig ist für das, was dieser, aus seinem Innersten heraus, der Welt zu geben hat.

Das sind geradezu fasziale Eigenschaften.

In der Tat. Vielleicht könnte man sich als Therapeut noch an einer weiteren Eigenschaft der Faszien orientieren: Sie bringen Ordnung in den Körper, unterscheiden das eine vom anderen. Gleichzeitig verbinden sie wie ein riesiges Netzwerk alles mit allem. Das kann man übrigens gut in einer Metzgerei studieren! Die Faszie, das weisse Gewebe ums Fleisch herum, lässt sich selten sauber vom Muskel abtrennen. Vielmehr ist es mit diesem in einer faszinierend dicht verwobenen Weise verwachsen.